Meine verschwundenen Kinder

- Gastbeitrag von Dr.Mama.Arbeitstier. (https://drmamaarbeitstier.blog)

Da waren sie: zwei Streifen auf einem Schwangerschaftstest. Ich war schwanger und ich freute mich. Doch ich war damals leider noch sehr naiv. Und ich dachte wirklich: Wenn so etwas passiert, ist die einzige Frage, die sich stellt: „Willst du es behalten?“ Aber das ist nur in Hollywoodfilmen so. Und das hat mir auch mein Gynäkologe relativ uneinfühlsam mitgeteilt: „Na, Mutterkindpass bekommen Sie jetzt noch nicht. Erst wenn die ersten 12 Wochen vorbei sind. Da kann noch so viel passieren. Und am besten sagen Sie es auch niemanden vorher.“ Und er hatte Recht. Schon nach wenigen Wochen bekam ich Schmierblutungen und auch der Ultraschall beim Gyn brachte keine Beruhigung: Da war noch kein Herz. Also Blutabnahme, Hormonstatus. Er war entspannt. Ich nicht. Dann, in der 8. Woche die Gewissheit durch die Befunde: Das wird wohl nichts. Gefolgt von der lapidaren Frage: „Haben Sie eine Zusatzversicherung, dann können wir das im Privatspital schnell erledigen. Sonst müssen Sie noch 2-3 Wochen warten.“ Ich war fertig. Doch leider auch Zusatzversicherungslos. Und so warteten wir. Doch in der 8. Schwangerschaftswoche hatte das Warten ein Ende.

 

Am späten Abend des 03.12.2006 wurde aus der dunkelbraunen Schmierblutung ein hellrotes Rinnsal. Das leichte Ziehen im Unterleib wurde stärker. Und als dann ein fetter Blutklumpen abging, war klar: ab ins Krankenhaus.

 

Es war, als hätte ich einen Stein im Magen.  Und die lange Wartezeit in der Notaufnahme machte es nicht besser. Ich glaube, es waren drei Stunden, die wir das saßen. Drei Stunden, in denen ich wusste, dass das, was einmal mein Kind hätte werden können, langsam verschwand. Doch trotz allem hatte ich noch einen letzten Rest Hoffnung. Vielleicht. Ja vielleicht passt doch alles. Vielleicht wird alles gut. Aber manchmal wird nichts einfach wieder gut. Und das hat mir der Arzt auch um die Ohren geschlagen, als er beim Vaginalultraschall zur Schwester sagte: „Da, schauen Sie, da kann man sehen, wie das Kind abgeht.“ Danke Arschloch!

 

Was soll ich sagen, ich war komplett fertig. Wenn der hasigste Ehemann von allen nicht dabei gewesen wäre, ich wäre nach dieser Aussage nach Hause gegangen. Doch er hat es geschafft, mich zu überreden, doch da zu bleiben. Und dann, so gegen 22:00 wurde ich ausgeschabt. Die Narkose war keine große Sache, auch die Schmerzen nicht. Das Schlimmste war das Wissen: „Jetzt ist es weg“.

 

Was blieb, war ein Foto. Mehr nicht. Und eine Diagnose - eigentlich nicht viel mehr als eine Beschreibung der Tatsachen: „gestörte Grav., SSW 8, Abortus in Gange.“

 

 

Und dann - nach einem halben Jahr - war ich wieder schwanger. Klar, freute ich mich irgendwie, aber das, was ich durchgehen fühlte, war Angst. Nackte Angst. Davor, dass es wieder so ausgeht. Dass dieses Kind wieder einfach so verschwindet. Und als dann wieder die Blutungen kamen, war ich mehr als traurig. Ich war gebrochen. Ich konnte nicht mehr daran glauben, dass es diesmal gut ausgehen würde. Und das tat es auch nicht. Die Blutwerte stimmten nicht. Die Schwangerschaft entwickelte sich nicht weiter.

 

Am 03.05.2007 wurde ich wieder ausgeschabt.

 

Was blieb? Die Diagnose: „Missed Abortus, 9 SSW, kein Dottersack, Fetalanlage darstellbar“. Und viele Fragen ohne Antworten.

 

 

 

Und dann war es vorbei? Nein, noch lange nicht.

 

Meine Schwiegermutter versuchte mich - wie viele andere - zu trösten, indem sie mir sagte: „Das waren doch eh noch keine richtigen Kinder.“ Aber das waren sie. Für mich schon.

 

Der Verlust dieser Kinder hat mich verändert. Sie haben mich mit leeren Armen völlig ratlos zurück gelassen - mit dem Aufschrei „Nicht noch einmal. Nicht noch ein drittes Kind verlieren.“ im Herzen. Die nächten Jahre waren bestimmt von der Ursachensuche. Ein kläglicher Versuch, die Angst und die Trauer in den Griff zu kriegen. Der hasigste Ehemann von allen und ich haben die nächsten Jahre nicht nur Kinderwunschkliniken, sondern auch Adoptionsstellen von innen gesehen. Und ich habe Menschen verloren - Freundschaften. Denn manchen war das Leid auf Dauer zu langweilig, war ich nicht lustig genug, nicht cool genug. Und den Besitzerinnen glückstrahlender Babybäuche konnte ich selbst nicht entgegentreten, ohne mich immer wieder und wieder zutiefst aufgelöst zu fragen: „Warum ich? Warum kann ich nicht, was alle können? Warum bekommen andere Kinder?“ Fünf Jahre lang. Es waren fünf lange Jahre.

 

Und heute?

 

Gut 10 Jahre und zwei  (lebende) Kinder später? Auch jetzt noch vermisse ich die beiden. Ja, sie fehlen mir. Immer noch. Nicht mehr so sehr wie früher. Das Leben hat inzwischen ganz viele neue Wunden und ganz viel neue Freude aufgetürmt. Und die alten Wunden zugedeckt. Doch manchmal, an weniger guten Tagen, dann, wenn der Trubel  des Alltags sich gelegt hat oder wenn ich irgendwo im Bloggerwald wieder etwas zu dem Thema lese, dann ist sie wieder da: Die Sehnsucht nach jemanden, den man nie kennen gelernt hat. Der so schnell wieder verschwunden ist, dass man ihn gar  nicht begreifen konnte. Ein Nachhall  nur. Ein Blätterrauschen in der Ewigkeit. 

 

 

 

 

Liebe Irene, ich danke dir von ganzem Herzen für deine Offenheit, deinen Mut und die unendliche Liebe. Fehlgeburt darf nicht Tabuthema sein. Sternenkinder sind nicht vergessen. Sie sind für immer im Herzen!

 

Gerne dürft Ihr Euch in den Kommentaren austauschen (auch anonym) und so Betroffenen Mut machen oder wenn Ihr selbst betroffen seid, Euch gegenseitig aufbauen. Ihr seid nicht allein!

 

Drückt Eure Kinder heute besonders fest! Eure Nisla <3

 

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